Mit Smartphone und Rollator
Von wegen technikfeindlich: Immer mehr ältere Menschen bewegen sich versiert im Internet und ein Leben ohne Smartphone können sich viele schon gar nicht mehr vorstellen. Für die Forschung eröffnet sich ein faszinierendes neues Gebiet.
Wie aufgeschlossen Menschen ab 65 Jahren gegenüber modernen Medien sind, zeigen regelmäßig die repräsentativen Umfragen des Digitalverbands Bitkom. Smartphones nutzt demnach bereits jeder dritte Deutsche in dieser Altersgruppe und Tabletcomputer immerhin schon gut jeder Zehnte. Da werden Nachrichten und Fotos mit den Enkeln ausgetauscht, Nachrichten online gelesen oder schnell mal ein paar Aufgaben aus der Denksport-App gelöst. Lebhaften Zuspruch finden auch Gesundheitsangebote im Internet. Zwei von drei älteren Internetnutzern holen sich medizinische Information aus dem Netz, meldet Bitkom, und selbst bei Nutzern jenseits der Achtzig treffe dies noch auf 57 Prozent zu.
Ein weiteres erstaunliches Befragungsergebnis: Jeder vierte betagte Internetanwender ist nach Auskunft des Branchenverbands heute schon bereit, sich online von einem Arzt beraten zu lassen. Diese Gruppe scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: „Künftig wird es ganz normal sein, per Smartphone oder Smartwatch seine Blutdruck-, Blutzucker- und andere Vitalwerte zu messen und an den Arzt oder medizinische Analysezentren zu schicken“, sagt Bernhard Rohleder, der Hauptgeschäftsführer von Bitkom.
Junge Alte auf Partnersuche

Quelle: Universität Heidelberg, Netzwerk Alternsforschung
Wie interessiert ältere Menschen an neuen Technologien sind, hat auch mit ihrem Bildungsabschluss zu tun. Das ist ein Ergebnis der Interdisziplinären Längsschnitt-Studie des Erwachsenenalters (ILSE), die ein Forscherteam um Hans-Werner Wahl betreut. ILSE läuft seit 1993 und dokumentiert die körperliche und psychische Entwicklung von Menschen, die zu Studienbeginn Anfang Vierzig oder Anfang Sechzig waren. Seit einigen Jahren fragen die Heidelberger Wissenschaftler zusätzlich nach der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnik. „Besser Gebildete wenden sich dem Internet eher zu als weniger Gebildete“, sagt Wahl. Das gehe nicht nur aus den eigenen Daten hervor, auch internationale Studien bestätigten diesen Befund. Insgesamt, so ein zentrales Ergebnis von ILSE, seien die heute Sechzigjährigen deutlich fitter, aktiver und wendiger als ihre Vorgängergeneration. „Die Babyboomer holen sich im Alter das, was sie brauchen“, sagt Hans-Werner Wahl. Und das gilt offenbar auch auf technischem Gebiet.
Ein zartes Pflänzchen wird groß
Für die Wissenschaft ist das Thema Alter und Technik zunehmend interessant, konstatiert eine Expertise im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG). Anhand von 177 Projekten analysiert sie die Entwicklung des Forschungsgebiets im deutschsprachigen Raum seit 2005. „Aus einem zarten Pflänzchen ist binnen weniger Jahre ein substanzieller und beeindruckend kreativer Teil der Alternsforschung geworden“, sagt Hans-Werner Wahl – er hat die Studie zusammen mit Mario Jokisch verfasst.
Schwerpunkt der Gero-Technologie, so nennen die Autoren das aufstrebende Forschungsfeld, sei mit einem Anteil von 46 Prozent eindeutig die Informations- und Kommunikationstechnik, gefolgt von Projekten, die sich mit technischen Assistenzsystemen für ein selbstständiges Leben im Alter beschäftigen (31 Prozent). Mit 11 Prozent seien Projekte aus der Robotik deutlich rarer gesät, heißt es in der Expertise. Inhaltlich beschäftigen sich die meisten Vorhaben mit Gesundheitsthemen; es folgen die Domänen Autonomie, soziale Teilhabe und Pflege. Projekte zu Mobilität und Bildung seien noch recht selten anzutreffen, schreiben die Autoren.
Auf internationaler Ebene treiben vor allem die Gerontological Society of America (GSA) und die 1996 gegründete International Society for Gerontechnology (ISG) die Thematik voran. In Deutschland sei sie noch nicht entsprechend verankert, heißt es in der Heidelberger Studie. Doch wie bewerten hiesige Fachgesellschaften eigentlich die vielen Entwicklungen in diesem Bereich? Wo sehen sie Handlungsbedarf? Und wie lassen sich die Potenziale des boomenden Forschungsgebiets für die deutsche Gerontologie nutzen? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, schlagen die Jokisch und Wahl eine Art neuer Keimzelle vor: eine eigene Sektion für Gero-Technologie und -Anwendung innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie.
Von Lilo Berg
Literatur:
Ulman Lindenberger, Jürgen Nehmer, Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Julia Delius und Michael Schellenbach (Hg.): Altern und Technik, Stuttgart 2011 (Altern in Deutschland Band 6 = Nova Acta Leopoldina N. F. Bd. 104, Nr. 368), 174 Seiten, ISBN: 978-3-8047-2547-8 Freier Download (pdf)
Katrin Claßen, Frank Oswald, Michael Doh, Uwe Kleinemas, Hans-Werner Wahl: Umwelten des Alterns – Wohnen, Mobilität, Technik und Medien, Kohlhammer, Stuttgart 2014, 29,99 Euro
Mario Jokisch, Hans-Werner Wahl: Expertise zu Alter und Technik im deutschsprachigen Raum, erstellt für die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG), Heidelberg, November 2015
Positionspapier der DGGG „Alter und Technik“
Bitkom-Befragungen zum Thema Senioren in der digitalen Welt:
https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/16-Millionen-Senioren-nutzen-Tablet-Computer.html
Foto Startseite: Christian Reinboth via Flickr https://flic.kr/p/9brR9r, Lizenz CC BY-ND 2.0
Weiterlesen: Powerjacken und dienstbare Roboter